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Zdeněk Sýkora: Ein Reiter auf dem Rücken der Zeit

Der Mensch ist ein Bürger zweier Welten! Im Bereich der Erscheinungen ist alles, was er ist und tut, ein winziges Glied im notwendigen Zusammenhang, aber er gehört zugleich einem übersinnlichen, über Raum und Zeit erhabenen Reich der Freiheit an.

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1788

 

Unsere Epoche zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass wir alle „keine Zeit haben“, die Hektik verschlingt uns mehr und mehr und ihr Diktat wird immer unnachgiebiger. Einst musste man die Zeit in Tage und Stunden unterteilen, seit der Renaissance in Minuten, später sogar in Sekunden, wohl um mit der Zeit besser wirtschaften zu können. Oder um sie – und das trifft es wahrscheinlich besser – effektiver zu verschwenden. Ständig hetzen wir irgendwohin, als wollten wir verlorene Zeit aufholen, was, da werden Sie mir sicher Recht geben, sehr schwierig, um nicht zu sagen unmöglich ist.

Trotzdem gibt es Menschen, die sich mit dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit nicht befasst, nicht über sie nachgedacht haben; die sich der Zeit auch nicht entgegenstellen, ihr nicht trotzen, sie nicht überlisten oder horten wollen. Der bodenlose Abgrund der Zeit interessierte sie einfach nicht, sie haben sich nicht mit ihm befasst und ihn ignoriert oder sogar versucht, mit ihrem Werk der Zeit entgegenzugehen. Dann bezeichnet man ihre Botschaft als ewig, historisch oder überzeitlich.

Der Zeit kann sich nur ein starkes Individuum entgegenstellen, das weiß, wie relativ die Zeit, wie flüchtig irdischer Ruhm ist, wie lächerlich vergänglich die sogenannten „ewigen Zeiten“ sein können, wie wertlos das Falsum der Wahrhaftigkeit ist. Er ahnt, dass uns auch andere Aufgaben aufgetragen werden, die von der Zeit unabhängig sind, losgelöst vom Zeitgeist, den Umständen, den eigenen Ambitionen, von der oft grauen und herben Realität des Stillstandes, in der zu leben, zu arbeiten, zu existieren uns auferlegt ist. Ich denke, früher nannte man solche Menschen Propheten.

Und weil das Werk Zdeněk Sýkoras von der Zeit unabhängig, ihr also auch nicht unterworfen ist, steht auch der Maler außerhalb des Bannkreises der Zeit, konnte nicht zu ihrer Geisel, ihrem Vasallen werden, der einem kurzfristigen und vergänglichen Ziel dient. Ihren Lockruf deutete er auf seine Weise und füllte die verrinnenden Jahre, Tage, Stunden und Minuten mit Malerei und Arbeit, ohne mit der Zeit zu handeln oder zu feilschen. Er brachte die Hektik seiner Zeit im Schmiedefeuer seines Talents und seiner ungewöhnlichen Inspirationen zum Schmelzen und transformierte sie. Auf diese Weise wurde er zum visionären Vorreiter, dem die Zeit – man höre und staune! – am Ende Recht gab. Das ist dann der Augenblick, in dem der Künstler für die Zeit zum Konkurrenten wird, denn er lässt sie durch sein Werk in Vergessenheit geraten.

Er hat es also nicht nötig, leuchtende Vorbilder nachzuahmen, und ignoriert die sogenannten internationalen Trends in der bildenden Kunst, er wird immun gegenüber unerwarteter Popularität, kurzsichtige Kritiken interessieren ihn nicht. Im Gegenteil: Er bahnt sich seine eigene künstlerische Schneise, als Solitär, der durch seine Geduld und Hingabe an die Kunst die Zeit anhält und durch diese schwarzen Löcher der schöpferischen Ekstase die Ewigkeit berührt und mit dem Universum verkehrt. Er wird zu einem Boten, der durch seine Malerei und seine spezifischen Codes mit der Zukunft zu kommunizieren vermag. Er ist ein wirklicher Künstler.

Mit seinem Einzug in die Galerien und Kataloge, in die Lehrbücher und in die Geschichte, mit dem Emporkommen seiner Schüler, Epigonen und Plagiatoren wird ihn die Zeit allerdings dennoch eines Tages einholen. Das Höchste, was in diesem Wettkampf zwischen dem Menschen und seiner Zeit am Ende errungen werden kann, ist also ein Remis. Ein Remis ist allerdings ein unentschiedenes Ergebnis, bei dem es bekanntlich weder Sieger noch Verlierer gibt. Aber gegen die Ewigkeit ein Remis zu erreichen, ist, denke ich, einer der größtmöglichen Siege des Menschen überhaupt!

Halten Sie also in dieser Ausstellung inne, vergessen Sie das hektische Ticken ihrer Uhren und schlagen Sie sich der gerade entschwindenden Zeit zum Trotz in dieser ewigen Kampfarena auf die Seite der Kunst, der Kontemplation und des Flügelschlags der Schmetterlinge … Finden Sie den Mut, in den ausgestellten Bildern Zdeněk Sýkoras den festen Boden der Realität unter den Füßen zu verlieren, sich durch den Treibsand auf dem Grund des Gemäldes zu kämpfen, ohne Anhaltspunkte an wirbelnden Farbriffen vorbeizuschwimmen und ohne die Landkarte des Verstandes dem unendlichen Horizont der Illusionen und Träume entgegenzustreben. Soviel ich gelesen habe, beruhigt der Horizont die Seele.

Widerstehen Sie also wenigstens für eine Weile dem Sirenengesang der Zivilisation, dem rasenden Tempo unserer immer hektischeren Zeit, legen Sie zumindest für einige Augenblicke dem Galopp der Zeit die Zügel an und werden reiten Sie auf ihrem Rücken ...

Vladimír Drápal, 2005

Zdeněk Sýkora: Ein Reiter auf dem Rücken der Zeit

In: Katalog "Zdeněk Sýkora", Vrchlický-Theater Louny, 2005
Autor: Vladimír Drápal, 2005
Thema: Werk