Sekundärformen 4
Brno, 27. 11. 2014 - 11. 1. 2015

Von der Verknüpfung seiner Linien mit Musik träumte Zdeněk Sýkora bereits in den siebziger Jahren. Es entstanden auch mehrere Bilder mit musikalischen Namen (zum Beispiel Das Hiršal-Trio und zwei Quintette). Zur selben Zeit unternahm er einen erfolglosen Versuch, diese Vision in Kooperation mit einem Chorleiter aus Louny zu verwirklichen. Als wir dann Anfang der achtziger Jahre begannen zusammenzuarbeiten, sprachen wir häufig über ein derartiges Projekt. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass eines der ersten Bilder, an deren Entstehung ich aktiv mitarbeiten konnte, den Titel Walzer trug. Sein Thema war die Bewegung der Linie im Dreivierteltakt. Es waren noch weitere Versuche geplant, wie man die Linien „vertonen“ könnte, aber in dieser Zeit hatten wir auch ansonsten so viele Ideen und Vorstellungen von der Weiterentwicklung der Linien, dass dieser Gedanke nicht verwirklicht wurde.

Ein Impuls zum Nachdenken und gleichzeitig eine Herausforderung, die Erforschung der Linien in dieser Richtung, das heißt bezogen auf ihre Verknüpfung mit Musik, weiter zu betreiben, war das unerwartete Angebot von Jiří Zahrádka, an der von ihm veranstalteten Ausstellung Sekundärformen teilzunehmen. Ich hatte ein ganzes Jahr Zeit für meine Überlegungen. Im selben Zeitraum dachte auch der junge Komponist Petr Bakla in seinem fundierten Artikel für die Musikzeitschrift His Voice über die Beziehung zwischen Sýkoras Linien und der Musik nach. Seine Überlegungen zu Sýkora waren für mich eine weitere Herausforderung. Der Autor erläutert im Text die Gründe, warum man Sýkoras Linien nicht direkt in Musik umsetzen kann (insbesondere verhindern das die unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften der beiden Medien – Musik hat einen räumlichen und einen zeitlichen Verlauf)

Ich entschied mich für eine andere Vorgehensweise: Weder komponierte ich Musik anhand der Linien, noch versuchte ich, eine konkrete Komposition exakt in Linien umzusetzen. Ich versuchte, eine kurze Melodie in kodierter Form teilweise in unsere Linien zu überführen. Die konkrete musikalische Partitur beeinflusste dabei lediglich die Vorgaben für die bildnerische Partitur.

Ich wählte die Noten des Liebesduetts von Málinka und Mazal „Es nahet schon der Morgen“ aus der Janáček-Oper „Die Ausflüge des Herrn Brouček“ als Ausgangspunkt. Mehrere Monate hörte ich die Oper ganze Tage lang und wartete immer begierig auf das Ende des ersten Aktes, an dem diese schöne Melodie erklingt (andeutungsweise ist sie schon in der Ouvertüre und noch mehrmals danach zu hören, als würde Janáček mit seiner Musik voraussagen bzw. ankündigen, was kommt). Eine Frauen- und eine Männerstimme singen gemeinsam dieselbe Melodie, es sind tatsächlich nur wenige Töne (mehrere Takte) und auch nicht viele Worte (der Text der gesamten Arie lautet: Es nahet schon der Morgen, wir beide sind allein – ich und die Liebe mein). Ich versuchte, unsere – Sýkora’sche – Partitur und die Partitur Janáčeks miteinander zu verknüpfen. Letztere schlug sich konkret in der Anzahl der Linien, ihrer Richtung und der Länge der Tangenten nieder. Die einzelnen Noten lassen sich nämlich leicht in zufällige Richtungen (von 360 möglichen) übertragen, was für jede Stimme gesondert geschah, denn sonst hätten beide Linien denselben Verlauf. Bewahrt blieben auch die Längen der Töne, sie wurden in die Länge der einzelnen Schritte transformiert. Man kann also sagen, dass diese Parameter auf Janáček’sche Art zufällig sind, während die anderen Parameter der Linien (Anfangspunkte x/y am Rand der Bildfläche, Breiten von sieben möglichen und Farben aus unserer Skala) auf Sýkora’sche Art zufällig sind. Die Linien sind keine Wiedergabe der Musik, Janačeks Noten dienten lediglich als Vorlage bei der Eingabe einiger Parameter für das System der Linien. Das so entstandene Bild ist also eine Art Chiffre: Für mich als Künstlerin ist sie absolut klar und verständlich (wenn ich das Bild sehe, höre ich die Melodie), für Uneingeweihte dagegen kann sie für immer ein Geheimnis bleiben. Auf gewisse Art ist das übrigens bei allen Linienbildern so, was, denke ich, ihre visuelle Wirkung in keiner Weise beeinträchtigt.

Lenka Sýkorová, 2015

Sekundärformen 4

Interpretationen zu Partituren von Leoš Janáček
Leoš-Janáček-Gedenkstätte, Brno
27. 11. 2014 – 11. 1. 2015 
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